Ein Zeichen für Demokratie in Deutschland
In Deutschland zeigen Großdemonstrationen im gesamten Land das steigende Engagement der Bürger für demokratische Werte und ihre Ablehnung gegenüber der zunehmenden Präsenz der Alternative für Deutschland (AfD). Diese öffentlichen Kundgebungen haben insbesondere für die neuen Bundesländer eine spezielle Bedeutung und könnten weitrechende positive Effekte für die gesamte Nation mit sich bringen.
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In den vergangenen Wochen sind unzählige Menschen in Deutschland auf die Straßen gegangen, um gegen den Aufstieg der Alternative für Deutschland (AfD) und ihre Unterstützer zu demonstrieren. Diese öffentlichen Bekundungen haben eine besondere Relevanz für die ostdeutschen Bundesländer, wovon potenziell das gesamte Land profitieren könnte.
Die Flut an Protestaktionen ebbt nicht ab. Bundesweit haben am vergangenen Wochenende wieder Abertausende ihre Ablehnung gegenüber dem Zuwachs rechtsextremer Kräfte zum Ausdruck gebracht. Es wirkt, als hätten von Nord bis Süd und von West nach Ost Millionen von Bürgern, die bisher im Stillen durch das Erstarken der AfD und die nahenden Wahlen beunruhigt waren, lediglich auf ein auslösendes Ereignis gewartet. Die in Potsdam entworfenen Ausweisungspläne waren eben jenes Ereignis.
Es ist nicht nur bemerkenswert, sondern auch ermutigend, dass die Protestwellen das ganze Land erfassen. Die Bewohner von Metropolen und ebenso die der kleineren Städte stehen gemeinsam auf. Es sieht so aus, als ob selbst die kleinsten Gemeinden nicht in die Geschichte eingehen möchten, bedeutende Ereignisse verpasst zu haben. Diese Solidarität überspannt sowohl städtische als auch ländliche Gebiete und ist in Ost- wie auch in Westdeutschland zu beobachten. Ein aussergewöhnlicher Moment der Geschlossenheit, den es zu bewahren gilt.
Verschiedene Erfahrungshintergründe Die Demonstrationen im Osten Deutschlands stechen aus drei Gründen hervor: Zum einen ist die AfD dort üblicherweise stärker verankert, zum anderen ist die Zivilgesellschaft oft weniger ausgeprägt und in Gebieten mit einer aktiven rechtsextremen Szene erfordert es deutlich mehr Courage, seine Überzeugungen öffentlich zu vertreten, als das in Städten wie Berlin oder Leipzig der Fall ist. Dafür gebührt den Protestierenden in diesen Regionen besondere Anerkennung.
Die Menschen in West- und Ostdeutschland haben das parlamentarische Demokratiemodell, wie wir es heute kennen, auf sehr unterschiedliche Weisen kennengelernt. In Westdeutschland nach 1949 begleitete ein schneller Wohlstandszuwachs den Aufbau der Demokratie und sorgte für ihre Akzeptanz. Im Gegensatz dazu kam es in den ostdeutschen Bundesländern nach 1989 zu Massenarbeitslosigkeit und sozialen Verunsicherungen. Darüber hinaus wurde die Dominanz der westdeutschen Einflussnahme in diesem Transformationsprozess als problematischer angesehen, als es die meisten Menschen im Westen bis heute anerkennen wollen.
Zunächst war es die PDS, später die Linke, die den politischen Widerstand artikulierten, bis auch sie als etabliert wahrgenommen wurden und interne Konflikte bekamen. Dann übernahm die AfD diese Rolle. Das lässt sich dadurch erklären, dass sie sich das Motto der Friedlichen Revolution „Wir sind das Volk“ angeeignet haben. Die unterschiedlichen Erfahrungen mit der Demokratie trugen zu einer Entfremdung und zu Misstrauen zwischen den Bürgern der östlichen und westlichen Landesteile bei. Die AfD, oftmals von Westdeutschen angeführt, erschien plötzlich als eine Vertreterin des Ostens.
Der Ausspruch „Wir sind das Volk“ wird nun durch die Protestbewegungen herausgefordert. Denn ein einheitliches „Volk“ gibt es nicht; stattdessen existiert eine vielfältige Bevölkerung von über 84 Millionen Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen, Überzeugungen und Interessen, die in einem Prozess, den wir Demokratie nennen, aufeinander abgestimmt werden müssen.
„Wir sind das Volk“? Nein! Dies hilft auch dabei, den latenten Ost-West-Konflikt zu mildern. Sichtbar wird ein ganz anderer Gegensatz: zwischen Verfechtern der Demokratie und ihren Gegnern. Die kontinuierlichen Kundgebungen in Ost- wie Westdeutschland könnten die Wahlerfolge der AfD in Brandenburg, Sachsen und Thüringen vielleicht nicht aufhalten, aber sie schaffen de facto eine neue Situation, indem die Machtverhältnisse deutlich zutage treten.
Die Krisen der letzten Jahre haben bedauerlicherweise die Kluft zwischen den Landesteilen erweitert: die Flüchtlingskrise, die Corona-Pandemie, der Konflikt in der Ukraine. Fast 35 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer wird klar, dass vielen Menschen in Ost und West die Demokratie ähnlich wichtig ist. Das bietet eine Grundlage, auf der man aufbauen kann.
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Die anhaltenden Großdemonstrationen in Deutschland, sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland, sind ein starkes Signal gegen Rechtsextremismus und für die Werte, die eine demokratische Gesellschaft ausmachen. Während die AfD weiterhin Wahlen gewinnen könnte, haben die Massenproteste eine klare Botschaft gesendet: Die Demokratie ist lebendig und wird von Menschen über alle regionale und politische Grenzen hinweg verteidigt. Diese Einheit bietet eine solide Grundlage für die Zukunft des demokratischen Zusammenlebens in Deutschland.
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