Demonstrieren ist ein wesentlicher Bestandteil der demokratischen Kultur. Das ist unbestreitbar.
Landwirte haben das unbestrittene Recht, ihre Interessen zu verteidigen. Es ist völlig berechtigt, dass sie die geplanten Maßnahmen der Bundesregierung in Bezug auf deren Umfang und kurzfristige Umsetzung kritisch hinterfragen. Es ist jedoch wichtig, dass auch während Protesten ein Gefühl für Proportionalität gewahrt bleibt. Bedenken sehe ich dann, wenn die Ankündigung von Demonstrationen dazu führt, dass man nicht mehr darauf vertrauen kann, dass Schüler zur Schule gehen können, ein Landratsamt ordnungsgemäß funktioniert oder andere essenzielle Dienste aufrechterhalten bleiben. Teils war dies in einigen Regionen auch der Fall. Obwohl die Proteste der Landwirte selbst friedlich und umsichtig durchgeführt wurden, gilt ihnen unser Dank. Aber das ist nicht die ganze Geschichte. Leider wurde der legitime Protest auch von rechten Gruppierungen für ihre Zwecke missbraucht, und das gegen den Willen der eigentlichen Organisatoren.
Die Akteure, die sich auf dieses Ereignis aufsprangen, standen nicht mehr in Verbindung mit der ursprünglichen Demonstration gegen Agrarsubventionen und Unterstützungsmaßnahmen. Ob diese Versammlungen im Verhältnis zu ihrem Zweck und Inhalt gerechtfertigt sind, ist eine zweite Frage, über die man unterschiedlicher Meinung sein kann. Das ist der Kern einer Demokratie.
Dennoch wurde der Bauernprotest an vielen Orten von Gruppen mit eigener Agenda unterwandert, wie in Dresden, wo rechtsextreme Persönlichkeiten in den Vordergrund traten. Die radikalen Parolen, die dort vorgebracht wurden, verdienen eigentlich nur eine Antwort in Form von Satire, da sie den Zustand der aktuellen Entgeistung widerspiegeln, der gefährlich ist. Errungenschaften gesellschaftlicher Werte, die Generationen erfochten haben, sind in Gefahr, bedeutungslos zu werden. Hier wurden Umsturzfantasien laut, die auch in sozialen Netzwerken verbreitet werden und die nun den friedlichen Protest überschatten wie ein seltsam erlösendes Verlangen nach Selbstaufgabe. Ein neuer Bauernkrieg scheint heraufbeschworen zu werden. Gegen die Regierung! Gegen das System! Endlich Freiheit!
Doch ganz im Ernst, welche Freiheit fehlt uns denn?
Es gibt die Freiheit der Meinungsäußerung und Handlung, selbst der größte Unfug, wie das derzeitige Umsturzfieber, bleibt unbestraft. Man sollte sich an die Zeiten vor 1989 erinnern, als man für die bloße Artikulation einer solchen Kritik verhaftet worden wäre. Aber es scheint ja, als könne man solche Tatsachen vergessen, wenn es der eigenen Ansicht dienlich ist.
Man hat die Freiheit zu glauben, was man möchte. Ihr dürft extreme politische Optionen wählen, die möglicherweise die Verfassung und den Sozialstaat untergraben wollen. Ihr habt die Freiheit, der nächsten Generation eine zerstörte Umwelt zu hinterlassen und zu glauben, Wissenschaft sei irrelevant. Man kann Grenzen ziehen und versuchen, innerhalb dieser Grenzen in Reinheit zu verharren, während die Wirtschaft mangels Arbeitskräften verfällt und der Wohlstand, den jede Generation aufgebaut hat, bedroht wird.
Wir haben die Freiheit, zu konsumieren und zu verschwenden, ohne an die Konsequenzen zu denken. Wenn jedoch junge Menschen für ihre Zukunft protestieren, werden sie desaktiviert und ihre Bedenken werden nicht gehört.
Lassen Sie uns klarstellen: Nicht alles ist in Ordnung. Aber Veränderung ist notwendig, weil sich alles bewegt. Manchmal ist Veränderung unvermeidlich und wir müssen uns an neue Gegebenheiten anpassen. Dies betrifft uns alle und ist eine Herausforderung, wie auch frühere Generationen sie erlebt haben. Wir machen Fehler, aber um Zuwanderung, Energiepolitik, Bildung und so viele andere Themen anzugehen, müssen wir zusammenarbeiten und dürfen unsere demokratischen Werte und Regeln nicht über Bord werfen. Wir müssen verantwortungsvoll und konstruktiv handeln und bereit sein, zusammenzukommen und Kompromisse zu finden.
Die gute Nachricht ist, dass kein Umsturz bevorsteht, die Mehrheit anders denkt und wir die Fähigkeit haben, Herausforderungen zu meistern, indem wir zusammenhalten und zu den Werten zurückkehren, die zuvor mutig verteidigt wurden.
Wir leben in einer freiheitlichen Gesellschaft, und wir sollten diese verteidigen und stärken, statt sie zu verunglimpfen. Wir sind aufgefordert, uns aktiv zu beteiligen, anstatt alles andere als selbstverständlich zu betrachten und unsere Verantwortung abzulehnen.
Zusammengefasst: Wir leben in einer Demokratie, in der Kompromiss und Zusammenarbeit der Schlüssel zum Fortschritt sind.
Schreibe einen Kommentar