Das Erwachen der schweigenden Mehrheit

Ein Plädoyer für demokratisches Engagement und gesellschaftlichen Zusammenhalt

Wenn jemand noch vor ein paar Wochen prophezeit hätte, dass die Plätze in unserem Land von Menschenmassen aus allen gesellschaftlichen Schichten gefüllt werden, die sich gemeinsam gegen Rechtsextremismus stellen, ich hätte es als reine Fiktion abgetan. Doch genau das ist geschehen – zum Glück. Diese Entwicklung wirft ein neues Licht auf die Ereignisse der letzten Monate – insbesondere in Sachsen – und zeigt, dass es in unserer Gesellschaft auch andere, einflussreiche Stimmen gibt, die den öffentlichen Diskurs prägen wollen. Sie sind zwar nicht lautstark, aber zahlreich, und sie kommen aus unterschiedlichsten politischen Spektren. Junge Menschen, Senioren, Familien, Unternehmer – die schweigende Mehrheit hat nun ihre Stimme erhoben, denn die Zeit war reif, die Notwendigkeit unübersehbar und das Bewusstsein, dass unsere Demokratie Unterstützung und Schutz benötigt, weitverbreitet. Politik ist nicht allein Verantwortung der Politiker.

Das ist das zentrale Ereignis, das wir erlebt haben.

Es war genau das Signal, das wir brauchten, nicht nur im Kampf gegen Extremismus, sondern auch im Alltagsleben. Dies bedeutet keineswegs die Ausgrenzung jener, die ihren Frust auf den Straßen und in Foren lautstark kundtun, sondern es ist vielmehr eine Einladung zum Dialog, eine Aufforderung, auf der Grundlage gemeinsamer Werte zusammenzufinden. Es muss kein Kampf gegeneinander sein, sondern die Chance auf Gemeinschaft, wenn beidseitiger Wille besteht.

Die Politik benötigt das Feedback der Bevölkerung, das seit geraumer Zeit viel zu schwach ausfällt. Wenn diese Rückmeldung kommt, stammt sie meist von kleinen, gut organisierten Gruppen, die tendenziell extreme Ansichten vertreten oder klare Interessen verfolgen. Selten hört man die Stimmen der breiten Masse. Vernachlässigt man diese, riskiert man, dass der Diskurs von Minderheiten dominiert wird. Das erschwert die politische Arbeit erheblich, weshalb mehr Engagement vonnöten ist, vorwiegend die kontinuierliche Fortführung des Dialogs.

Wir müssen jetzt vermehrt zusammenkommen – in Stadt- und Gemeinderäten sowie in zahlreichen Diskussionsrunden. Derzeit wird dort oft bloß widersprochen, vorwiegend aus Empörung gegen „die da oben“, gegen Zuwanderung oder schlichtweg gegen alles, was dem Einzelnen nicht einleuchtet. Selbst gegen jedes Argument. Statt für das Gemeinwohl zu agieren, dominiert das eigene Interesse. Das schadet der Politik und erschwert die Suche nach Kompromissen für ein Vorankommen.

Es gibt Widersprüche, die real und nicht zu ignorieren sind. Wir fordern Klimaschutz, niedrige Energiepreise und lehnen gleichzeitig Windräder ab. Wir beklagen hohe Baukosten, wollen aber keine lokalen Kies- und Sandtagebaue. Wir benötigen Arbeitskräfte, aber Zuwanderung soll nur unter bestimmten Bedingungen stattfinden. Ohne Kompromissbereitschaft werden wir keine Lösungen finden und unsere Probleme nicht bewältigen.

Wir benötigen einen Rückgriff auf unsere gesellschaftlichen Werte wie Solidarität, Zusammenhalt, Humanität und die Bereitschaft zum Kompromiss. Auf bürgerschaftlicher Ebene ebenso wie in der Politik, die ihren Teil zur aktuellen Stagnation und der Abkehr von demokratischen Prinzipien beiträgt. Wir brauchen klare Konzepte und Wege, die nicht überfordern oder Menschen vor vollendete Tatsachen stellen, die sie nicht bewältigen können.

Der Kampf gegen Extremismus ist nur ein Teil des Streitens um das größere Ganze. Wir müssen die gesellschaftlichen Fehlentwicklungen gemeinsam angehen. Nutzen wir das aktuelle Momentum, um aus den Demonstrationen eine dauerhafte Beteiligung zu formen. Nicht der Widerstand, sondern das gemeinsame Engagement für eine Sache treibt den Fortschritt voran.

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